Das Ziel: alles auf einen Blick. Wo? In der Widerrufsinformation für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge. Alle Pflichtangaben müssen drin sein, dort und nirgends sonst; kein Springen mehr vom einen ins andere ins wieder andere Gesetz. Das entsprechende Muster einer Widerrufsinformation soll an die Rechtsprechung des EuGH angepasst werden.
Bisher: Widerrufsbelehrung mit Kaskadenverweis
Verbraucher haben bei Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Das sagt die Verbraucherkreditrichtlinie RL 2008/48. Den Startschuss für den Beginn der Frist gibt die Widerrufsbelehrung. Erst, wenn Privatkunden vom Kreditgeber alle vertraglichen Pflichtangaben erhalten haben, beginnen die 14 Tage zu laufen. Im deutschen Recht gibt es dafür seit 2010 ein Muster, eingefügt durch Gesetz vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977), Wirkung zum 30. Juli 2010.
Europarechtlich war dies zwar nicht nötig, der deutsche Gesetzgeber hat sich aber dazu entschieden. Das Muster befindet sich in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB. Bislang sind in der Widerrufsbelehrung nicht alle Pflichtangaben genannt. Grund: Die Belehrung soll möglichst übersichtlich sein. Wie kommt der Verbraucher dann an seine Infos? Indem er vom einen ins nächste ins wieder nächste Gesetz und zurück springt. Das nennt sich Kaskadenverweis. Konkret verweist die Musterbelehrung auf § 492 Abs. 2 BGB, der seinerseits auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB; und der schickt den Leser dann zurück ins BGB. Übersichtlich ist anders.
BGH ./. EuGH: kein Widerrufsjoker für Verbraucher
Der Kaskadenverweis verstößt gegen Europarecht – sagt der EuGH | z.B. im Urteil vom 26. März 2020, C-66/19, Kreissparkasse Saarlouis. Denn der Verbraucher sei in der Belehrung selbst nicht ausreichend klar und prägnant über das Widerrufsrecht informiert worden. Beim Blick in den Vertrag kann er weder den Umfang seiner vertraglichen Pflicht sehen noch prüfen, ob der geschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthalte. Erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen habe (vgl. Rn. 44 des Urteils vom 26. März 2020, C-66/19). Um die Pflichtangaben herauszufinden, müsse sich der Verbraucher mit einem Wust an nationalen Bestimmungen beschäftigen, die in verschiedenen Gesetzeswerken enthalten seien (vgl. Rn. 42 des Urteils vom 26. März 2020, C-66/19). Folge des Verstoßes: Die Widerrufsfrist der betroffenen Verträge beginne nicht zu laufen und die Verträge könnten auch heute noch widerrufen werden.
Der BGH sieht das anders. Bislang hatte er am Kaskadenverweis nämlich nichts auszusetzen (z.B. im Urteil vom 22. November 2016, XI ZR 434/15). Daran hat auch das EuGH-Urteil nichts geändert. Im Gegenteil. Der BGH konterte. Dessen XI. Senat entschied prompt, dass der Kaskadenverweis nicht zum Widerrufsrecht des Verbrauchers führt (Beschluss vom 31. März 2020, XI ZR 198/19). Begründung: Die verwendete Widerrufsinformation habe dem damals geltenden Muster entsprochen (Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F.), #Gesetzlichkeitsfiktion. Würde sich der BGH dem EuGH anschließen, müsse er sich gegen den eigenen Gesetzgeber stellen. Und der meint, dass es für eine klare und verständliche Information des Darlehensnehmers über sein Widerrufsrecht reicht, die Musterbelehrung zu verwenden. Sich dagegen aufzulehnen, sei dem BGH durch das Rechtsstaatsprinzips, Art 20 Abs. 3 GG, verboten (Beschluss vom 31. März 2020, XI ZR 198/19, Rn. 11). Das sage sogar der EuGH selbst. Denn nach dessen ständiger Rechtsprechung dürfe die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung keine Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts sein (vgl. Beschluss vom 31. März 2020, XI ZR 198/19, Rn. 12 mit weiteren Nachweisen).
Das Bundesverfassungsgericht hilft hier nicht weiter, denn die gegen den BGH-Beschluss eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, 4. August 2020, 1 BvR 1138/20). Wem soll sich der BGH nun künftig widersetzen, dem EuGH oder dem eigenen Gesetzgeber? Ein Dilemma für den BGH.
Raus aus dem Dilemma: Die Musterbelehrung wird umfangreicher
Dem BGH kann geholfen werden: Das Musters für eine Widerrufsinformation für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge wird geändert. Es soll eine Gesetzeslage geschaffen werden, die Unionsrecht entspricht, sowohl der Verbraucherkreditrichtlinie als auch den Vorgaben des EuGH (vgl. Begründung des Entwurfs, S. 14).
Der bisherige Aufbau von Widerrufsbelehrungen soll bleiben, ergänzt um den Abschnitt der Pflichtangaben. Das geplante Muster soll daher wie folgt aussehen:
- Abschnitt 1: Widerrufsrecht
- Abschnitt 2: Für den Beginn der Widerrufsfrist erforderliche Pflichtangaben im Vertrag
- Abschnitt 3: Widerrufsfolgen
Was bleibt sind die erforderlichen Pflichtangaben als solche, aufgelistet in Art. 10 der Verbraucherkreditrichtlinie. Was sich ändert ist der Umfang der Musterbelehrung. Da dort nun alles drin sein muss, insbesondere Pflichtangaben in 25 Ziffern mit zahlreichen Unterangaben kann das Muster je nach Layout auf bis zu acht Seiten anwachsen. Ist dies klar und prägnant, wie es die Verbraucherkreditlinie in Art. 10 Abs. 2 verlangt? Dieser Punkt ist natürlich auch nicht den Urhebern des Referentenentwurfs entgangen: Sie erkennen den Konflikt zwischen den Anforderungen der Richtlinie an die Vollständigkeit der Widerrufsinformation einerseits und Klarheit und Prägnanz andererseits (S. 17 des Referentenentwurfs).
Einen Tod muss man sterben und das erneute Dilemma wird – wie es im bisherigen Entwurfsstadium aussieht – zugunsten der Vollständigkeit entschieden werden. Die Aufzählung entspreche den Angaben in Art. 10 Abs. 2 der Verbraucherkreditrichtlinie. Außerdem sei dem zitierten Urteil des EuGH zu entnehmen, dass das Erfordernis „klar und prägnant“ nur im Rahmen der Vollständigkeit eine Rolle spiele. Es könne aber nicht dazu dienen, die zu erteilenden Informationen zu begrenzen. Mit anderen Worten: Was vollständig ist, kann nicht unklar sein.
Wie kommt man nun zu einer gewissen Übersichtlichkeit? Durch Überschriften (vgl. S. 17 des Gesetzesentwurf). Immerhin ist es einfacher, nur in ein einziges Dokument ohne Verweise zu durchforsten als diverse Gesetzestexte.
Die Musterbelehrung soll – wie bisher auch – freiwillig verwendet werden dürfen.
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