Die zwei sind sich selten grün. – So der Eindruck, wenn man die Rechtsprechung des II. und des XI. Zivilsenats der letzten Jahre verfolgt hat. Der eine anlegerfreundlich, der andere nicht. Umso erstaunlicher, dass die zwei nun in einer Frage der Prospekthaftung einen Kompromiss gefunden haben. Wie sieht der aus?
Die Fälle
Gründungsgesellschafter einer Publikumskommanditgesellschaft planten Immobilienfonds für den US-Markt, an denen sich Anleger in den Jahren 2010 und 2011 beteiligten.
Die Fonds entwickelten sich anders als erwartet und die Anleger wollten die Gründungsgesellschafter deswegen zur Verantwortung ziehen. Ihr Ziel: Feststellung einer Schadensersatzpflicht, weil sie glaubten, nicht ausreichend über kapitalmäßige bzw. personelle Verflechtungen aufgeklärt worden zu sein. In den Vorinstanzen hatten die Anleger die Nase vorn; die Revisionen wurden vom BGH auf Beschwerden der Beklagten hin durch Beschlüsse vom 21. März 2023 zugelassen.
Click zum BGH | Pressemitteilung Nr. 56/2023 vom 22. März 2023
Die Beschlüsse des BGH zur Prospekthaftung
Was sagt der II. Senat?
Endgültige Entscheidungen stehen noch aus. Doch hat der II. Senat in seinen drei Beschlüssen vom 27. Juni 2023 darauf hingewiesen, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten möchte, die da lautet: Der Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung schließt eine Haftung der Altgesellschafter wegen Verletzung von Aufklärungspflichten nicht aus, wenn die Gesellschafter für die Aufklärung einen unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekt verwenden.
- Spezialgesetzliche Prospekthaftung meint § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung
- Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten meint allgemeine Regeln des Zivilrechts, §§ 280 Abs. 1 und 3, 282, 241 Abs. 2, 311 BGB
Kurz gefasst: Selbst wenn spezielle Gesetze gelten, ist eine Haftung nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln wegen Aufklärungsfehlern möglich.
Click zum BGH | Beschluss vom 25. Oktober 2022 – II ZR 22/22
Wie sieht dies der XI. Senat?
Anders. Nach seiner Rechtsprechung schließt die genannte spezialgesetzliche Prospekthaftung eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung nach den allgemeinen oben zitierten Normen aus, wenn die Gesellschafter für die Aufklärung einen unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekt verwenden.
Kurz gefasst: Gelten spezielle Gesetze, ist eine Haftung wegen der Verwendung eines unkorrekten Prospekts nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln wegen Aufklärungsfehlern nicht möglich.
Click zum BGH | Beschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18
Zwei Senate, zwei konträre Meinungen.
Zurück zum II. Senat. Er führt aus, dass spezialgesetzliche Aufklärungspflichten, insbesondere mit Blick auf die Rechtsprechung des XI. Senats eine Neuausrichtung der allgemeinen Aufklärungspflichten der Altgesellschafter rechtfertigen. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht haben nur solche Altgesellschafter, die
- selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernehmen oder
- in sonstiger Weise für den Vertrieb eines anderen die Verantwortung tragen.
Bei Vertriebsauftrag der Fondsgesellschaft liegt die Vertriebsverantwortung bei den geschäftsführungsbefugten Altgesellschaftern. Ein Altgesellschafter ist aber nicht allein deshalb für eine ordnungsgemäße Aufklärung verantwortlich, weil ein Alleingesellschafter aufgrund des Auftrags den Vertrieb übernommen hat. Ebenfalls nicht ausreichend sind bloße personelle Verflechtungen eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft. Um eine Aufklärungspflicht zu begründen, müssen also weitere Kriterien vorliegen. Welche dies genau sind, wird sich hoffentlich bald klären.
Nun kommt der XI. Senat ins Spiel. Dieser hat auf Anfrage des II. Senats hin nämlich mitgeteilt, dass seine o.g. Rechtsprechung – Spezialrecht verdrängt allgemeines Recht – einer allgemeinen zivilrechtlichen Haftung dann nicht entgegensteht, wenn an die Vertriebsverantwortung angeknüpft wird.
Worin liegt nun der Kompromiss?
Der II. Senat beschränkt seine Haftung auf solche Altgesellschafter, die Vertriebsverantwortung tragen. Der XI. Senat rückt davon ab, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung die Haftung nach allgemeinen Regeln rigoros verdrängt.
Es verwundert nicht, wenn zumindest die Presseerklärung Fragen offen lässt. Weitere Antworten liefern wohl die endgültigen Entscheidungen.
Click zum BGH | Pressemitteilung Nr. 108 vom 11. Juli 2023
Click zum BGH | Beschluss vom 27. Juni 2023 – II ZR 57/21
Click zum BGH | Beschluss vom 27. Juni 2023 – II ZR 58/21
Click zum BGH | Beschluss vom 27. Juni 2023 – II ZR 59/21
Click zum Beitrag | Haftung ohne Grenzen für Gründungsgesellschafter